Leseprobe "A Crown of Fangs and Fury"
Ich presste den Kolben der Muskete fest in die Schulter, die Augen auf das Ziel fixiert. Mein linker Arm zitterte leicht unter dem Gewicht der Waffe und die kalte Luft brannte in den Lungen.
»Ruhig einatmen, Élèntine, konzentriere dich«, drang Arnoîts Stimme von hinten zu mir. Die Hacken meiner mit Perlen und Saphiren bestickten Schuhe gruben sich tiefer in die Erde und ich korrigierte meinen Stand. Ein Hauch von Tannennadelduft lag in der leichten Brise. Ich drückte ab.
Der Schuss hallte durch den Wald und die Kugel bohrte sich in den Baumstamm einer Ulme. Hinter mir stoben Krähen krächzend auf.
»Schon wieder vorbei.« Ich rammte den Kolben so fest in den Waldboden, dass ein Ruck durch meinen Körper fuhr und die weiße Perücke verrutschte. Ich richtete sie und strich dabei eine braune Locke darunter, die sich hervorgemogelt hatte.
»Das passiert, weil du zu ungeduldig bist.« Arnoît hatte die Stirn in tiefere Falten als sonst gelegt und der ruhige Ton seiner Stimme machte mich fast schon aggressiv.
»Wenn ein Werwolf auf mich zurennt, um mich in Stücke zu reißen, habe ich auch keine Zeit, ewig zu zielen.«
Arnoît zog eine Augenbraue hoch, in die sich schon erste graue Haare eingeschlichen hatten. »Umso wichtiger, es jetzt richtig zu machen. In Darington werden wir keine Gelegenheit mehr zum Üben haben. Noch mal.«
Ich atmete genervt aus, mein Atem eine kleine Wolke, die sich schnell verflüchtigte. Mit den Zähnen riss ich das Patronenpapier auf, worin das Schießpulver eingerollt war. Die Fitzelchen in meinem Mund spuckte ich auf die verwelkten Blätter, die auf dem in Reif gekleideten Gras lagen. Bis auf einen kleinen Teil entleerte ich das Pulver in den Lauf. Das metallische Klingen der rollenden Kugel war mir mittlerweile so vertraut wie das Feststampfen mit dem Ladestock. Wenn mein Vater das wüsste. Dieser Gedanke brachte mich zum Schmunzeln. Drei bis vier Schüsse gab ein Soldat seiner königlichen Armee in der Minute ab. So routiniert war ich lange nicht, aber Arnoît gab sein Bestes, dass sich das änderte. Er wollte mich nicht wehrlos diesen Biestern ausliefern, wenn mein eigener Vater schon keine Skrupel hatte, es zu tun. Ich steckte den Ladestock zurück in die Scheide, streute den Rest des Schießpulvers auf die Zündpfanne und legte an.
Ein Strahl des Sonnenrings, den ich am linken kleinen Finger trug, kratzte über das Holzgestell, als ich den Griff veränderte. Mein Brustkorb presste sich schmerzhaft an die Rippen des Korsetts. Ich hob den Lauf etwas höher und zielte. Der Glaskelch, den Arnoît zwischen eine Astgabel gestellt hatte, glänzte im spärlichen Licht, das es durch die dicke Wolkendecke auf die Waldlichtung geschafft hatte. Ich verengte die Augen und drückte ab.
Das Glas zerplatzte in tausend Teile. Zumindest nahm ich das an, denn es war nichts mehr davon zu sehen. Ich grinste breit, der Schuss hallte immer noch in meinen Ohren nach.
»Na also, geht doch«, sagte Arnoît und klopfte mir auf die Schulter.
»Prinzessin, nun ist es aber genug. Ihr werdet noch nach Schießpulver stinken. Was soll König Cayden denken?« Floréane war aus der Kutsche gestiegen. Sie hatte die roten Röcke gerafft und ging auf Zehenspitzen über den Waldboden bis zu uns herüber. Die vier königlichen Gardisten hatten weiterhin die Köpfe abgewandt und taten so, als würden sie uns nicht sehen. Ich wollte lieber nicht wissen, wie viele Goldstücke Arnoît ihnen dafür gegeben hatte. Die Prinzessin mit der Muskete. Mein Vater würde sie in den Kerker sperren, wenn er erfahren würde, dass sie mich nicht aufgehalten hatten.
Flo verschränkte die Arme. Ein verwelktes Blatt hatte sich in ihrer weißen hoch aufgetürmten Perücke verfangen. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen. Sie verengte die Augen zu Schlitzen. »Ihr habt gesagt, noch eine kurze Pause. Nun sollte es wirklich genug sein.«
Ich seufzte und strich mir den obersten Rock des ausgestellten Kleids zurecht. Die königlichen Hofschneiderinnen hatten extra für den heutigen Tag kleine Monde in Silber und unzählige Perlen wie Sterne auf den blauen Stoff gestickt. Als ob mein Aussehen irgendeinen Unterschied machen würde. In wenigen Tagen fand meine Hochzeit mit König Cayden statt, ob er mich attraktiv fand oder nicht. Zu Hause hätte mich mit der Narbe im Gesicht kein Edelmann eines zweiten Blickes gewürdigt, wenn ich nicht die Prinzessin wäre. Warum hatte mein Vater ausgerechnet mich ausgesucht, die unvollkommenste Tochter?
Floréane reichte mir den Hut mit dem blauen Seidenschleier, der an der linken Seite herunterhing. Ich setzte ihn auf und schob ihn so lange über der weißen Perücke hin und her, bis er mein zerrissenes Ohr verdeckte. Trotzdem lugte die Narbe der Werwolfattacke hervor, da sie bis zur Mitte der Wange reichte.
Die Schminke und der Puder, den mir Floréane heute Morgen zur Maskierung aufgetragen hatte, waren durch das Schwitzen beim Schießen sicher längst verschwunden. Doch früher oder später würden sie die entstellte Seite sowieso sehen – eine Erinnerung, was mir einer von ihnen angetan hatte. Warum diese Heirat des Friedens willen überhaupt nötig war.
Floréane richtete eine der Pfauenfedern am Hut und nickte zufrieden. »Wie die Sonne, Prinzessin.« Sie bot mir den Arm an, um mich zur vorderen Kutsche zurückzuführen. Ich zögerte.
»Komm, Élèntine. Es ist nicht das Ende der Welt«, sagte sie leise. Arnoît reichte mir die ellenbogenlangen Samthandschuhe und ich zog sie an, bevor ich mich bei Floréane einhakte.
»Ich bin bei dir, was auch immer passiert«, flüsterte sie mir verschwörerisch zu und drückte meine Hand. Einer der Diener hielt uns die Kutschtür mit dem Wappen des Königreichs Ferlacroix auf: eine halbe Sonne mit einem Bogen, der sich darum spann. Es sollte den Sonnenaufgang darstellen. Für mich war es heute das Zeichen für den Sonnenuntergang. Ich schluckte den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und blinzelte die Tränen weg.
Arnoît fläzte sich neben mich auf die gelb leuchtenden Samtpolster der Kutschbank, bevor der Diener die Tür mit einem leisen Klicken schloss. Mein Leibwächter hielt mir eine Pflanze mit länglichen Blättern vor das Gesicht, die sanft nach Salbei roch.
»Sonnenglanz, wächst auf Waldlichtungen, gut bei Entzündungen von Wunden«, sagte ich reflexartig.
Arnoît schüttelte den Kopf und legte den Kopf an das Glas des Fensters. »Das ist richtig, aber das meinte ich nicht. Weißt du, was die Leute im Volksmund sagen?«
»Nein«, presste ich heraus. Mein Brustkorb war wie zugeschnürt und das lag ausnahmsweise nicht am Korsett. Von vorne hörte ich den Kutscher die Pferde antreiben und das schwerfällige Gefährt aus Holz, Gold und zu viel Glas setzte sich in Bewegung.
»Sonnenglanz gibt den Hoffnungslosen Hoffnung, wenn sie es nachts unter ihr Kissen legen«, sagte Arnoît. Die Krähenfüße an seinen Augen vertieften sich, als er mich mitleidig anschaute. Vorsichtig nahm ich ihm die Pflanze aus der Hand und ließ sie in meinem Dekolleté verschwinden, während Floréane mit den Augen rollte. Ich nahm alle Hoffnung, die ich bekommen konnte.