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Leseprobe Geheimprojekt

Vier Tage bis zur Weihnachtsfeier

 

Im 54. New Falton Police Department sind vier Sachen über mich bekannt:

 

Erstens: Ich bin die beste Datenanalystin, die das Revier je gesehen hat. Und das, obwohl Inspector Heatherington bei meiner Einstellung ernsthafte Zweifel hatte, ob eine Halbelfe diesen Beruf überhaupt ergreifen kann.

 

Zweitens: Jeden dritten Sonntag im Monat helfe ich im Stadtteil Tinkerton in einer Suppenküche für Goblins aus, weswegen ich von Detective Steve Galley aus dem Drogen-Dezernat aufgezogen werde (der dort zu allem Überfluss seit zwei Monaten regelmäßig auftaucht).

 

 

Drittens: Im Organisieren bin ich hervorragend. Deswegen überraschte es niemanden, als Commissioner Gregory MacLay höchstpersönlich mich mit der Planung der diesjährigen Weihnachtsfeier betraut hat.

 

Und so sitze ich an meinem aufgeräumten Schreibtisch und starre Viertens an: die zerbröselnde Zuckerstange an meinem Computer, die ich niemals essen werde. Und genau die ist das Problem: sie macht die Organisation der Weihnachtsfeier zu einem Ding der Unmöglichkeit.

Mein Blick wandert wieder auf mein zugeschlagenes Notizbuch und ich funkle die abgedruckten Blumen finster an. Irgendwie muss ich meiner elfischen Herkunft ja gerechet werden. Aber nicht mal die bringen mich heute zum Lächeln.

Vor mir flimmern über die drei Bildschirme Zahlen meines selbst gebastelten Algorithmus, der Auffälligkeiten in den Bankdaten diverser Investoren finden soll. Ein kleines Nebenprojekt, wenn es gerade keine aktiven Fälle gibt.

Bis der Algorithmus (ich habe ihn liebevoll »Rosa« genannt, nach Chamaepsila rosae, der Möhrenfliege, welche die Wurzeln der entsprechenden Pflanze angreift und die diese zerstört. Genau wie Rosa das Übel der Finanzbetrüger an der Wurzel packt und … ich schweife ab). Na ja, bis auf jeden Fall Rosa alle Datenbanken durchgekämmt hat, wird es eine Weile dauern. Zeit, in der ich den PC nicht nutzen kann, um den Arbeitsspeicher nicht zu überlasten.

Ach was soll das. Ich habe sowieso nichts Besseres zu tun. Doch wenn ich die Weihnachtsfeier plane, denke ich automatisch an die letzte (die, von der die Zuckerstange stammt) und der Schmerz schnürt mir die Kehle. Ich schüttle mich und drücke den Rücken durch. Nein, Schluss damit. Ein Jahr Liebeskummer ist genug. Das werde ich mit dieser Weihnachtsfeier hinter mir lassen. Nur, weil ich sie organisiere, muss es nicht so katastrophal schiefgehen wie zuvor. Es kann eigentlich nur besser werden, als das, was letztes Jahr Romilda Copperbatch aus der Buchhaltung fabriziert hat.

Ich sollte es einfach hinter mich bringen, alles vorbereiten und Detective Steve Galley danach für immer vergessen. Seufzend schlage ich das Notizbuch auf und starre auf die verbleibenden Namen.

Das ist wie ein Puzzle. Ich mag Puzzle. Aber dieses Puzzle, besonders der eine Name, bereitet mir Bauchschmerzen. Der gleiche, über den ich mir sowieso den Kopf zerbreche. Und das Herz.

»Holly, Holly, Holly.«

Apropos Name. Oh nein, nicht der. Ich sehe nicht auf. Nicht mal, als Steve sich auf meine Schreibtischkante setzt. Nur aus dem Augenwinkel nehme ich seine raumverschlingende Präsenz wahr, die ich so gerne gänzlich ignorieren würde.

»Steht da etwa mein Name?« Steve Galley lehnte sich leicht vor und ein Hauch Kaffegeruch weht zu mir herüber. »Gibt es wieder die traditionelle Pärchen-Schnitzeljagd zur Weihnachtsfeier? Wird bestimmt so aufregend wie das letzte Jahr.« Er wackelt suggestiv mit den Augenbrauen und mein verräterisches Herz stürzt sich in meine Rippen, um elendig daran zu verbluten. Dieser Arsch. Nach allem hier noch so aufzukreuzen …

»Nein.« Energisch klappe ich das Buch zu, verstaue es in der Ablage unter dem rechten Monitor und starre Steve finster an. »Was willst du, Galley?«

»Steve. Kann ich meine Lieblingsdatenanalysten nicht einfach so besuchen?«

»Ich bin die einzige Datenanalystin im Haus.«

Er zuckt mit den Schultern. »Das macht es nicht weniger wahr.« Mit schief gelegtem Kopf betrachtet er die Zahlen auf den Bildschirmen und ich erlaube es mir kurz, ihn anzusehen. Wieso müssen diese Undercover-Detectives alle so aussehen? Dieses leicht wilde, der Dreitagebart, die verschrammte Lederjacke und dieses gefährliche Grinsen, das meine Knie weich werden lässt?

Ich würde mir am liebsten mit der flachen Hand auf die Wange klopfen. Denn genau das war es, was mich letztes Jahr überhaupt in diese Misere gebracht hat. Außerdem soll er meinen Blick nicht bemerken, sein Ego ist groß genug. Er muss mich nicht auch noch beim Anhimmeln erwischen.

Steve verengt die braunen Augen. »Was ist das? Was für Datenbanken durchkämmst du da?« Ach ja, und nervig schlau ist er obendrein. Ich drücke die Tastenkombination Strg und L und sperre meinen Bildschirm. Ein Foto eines Magnolienbaums im Wisteria Park blinkt auf.

»Hey, das ist unfair.« Gespielt empört sieht er mich an.

Ich verschränke die Arme und mein grüner Lieblingspullover kratzt plötzlich auf meiner Haut. Ich hasse alles daran. »Bist du fertig damit, meine Zeit zu verschwenden?«

Er greift nach der Zuckerstange, die am linken Monitor hängt. Am unteren Ende ist sie bereits zerbröselt. »Du siehst nicht sonderlich beschäftigt aus.«

»Finger weg.« Ich schnappe ihm die weiß-rot geringelte Süßigkeit aus der Hand und hänge sie wieder hin. Falls er herausfindet, dass das dieselbe ist wie –

»Da ist heute aber jemand gut gelaunt.«

»Das liegt vielleicht an deiner Anwesenheit.«

»Ach komm.« Er boxt mir spielerisch in die Schulter und ich weiche zurück, als hätte er mich mit einem glühenden Stück Eisen berührt. »Du bist doch froh, in deinem Loch von einem Büro mal einen anderen Menschen zu Gesicht zu bekommen, der nicht Douglas ist.« Sein Blick fällt auf den Schreibtisch hinter mir, der mit mehr Monitoren wie meiner ausgestattet ist. Dafür ist die Arbeitsfläche nicht so aufgeräumt und Miniaturen von Empire of Deadly Souls bestückt.

»Ich mag ihn. Oliver wird sicher jeden Moment wiederkommen.« Den meidet Steve warum auch immer wie die Pest. Zumindest taucht dieser Arsch nie auf, wenn er da ist.

»Wird er das? Ich habe gehört, er hat ein Treffen mit Gwen wegen eines Falls.«

Genervt atme ich aus. »Sag mir einfach, was du willst, Galley, und verschwinde dann.«

»Steve.« Er streckt sich ausgiebig und etwas von seinem flachen Bauch blitzt unter dem waldgrünen Shirt auf. Das V führt direkt in seine Jeans und -

Als mir bewusst wird, dass ich schon wieder gaffe, reiße ich meinen Kopf hoch. Doch Steves Funkeln in den Augen hat er es trotzdem bemerkt. Ich trommle mit meinen langen Fingern auf die Oberarme. »Also?«

»Ich dachte, du brauchst vielleicht Hilfe bei der Organisation der diesjährigen Weihnachtsfeier? Nachdem wir das Desaster von letztem Jahr vermeiden wollen – wobei, nicht alles.«

Ich fühle, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht.

Steve lehnt sich vor. »Wäre eine Schande, wenn dasgleiche nochmal passiert, oder?«, raunt er.

Und ich hasse ihn. Ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn. Das ist nur grausam. Er hat mir klar gemacht, wie er zu mir steht. Fein. Mein Fehler, mehr zu erhoffen. Aber dass er mich nicht in Ruhe lassen kann, verwandelt den Kummer in eine alles verzehrende Bitterkeit. Und ich will so nicht sein.

Ich beiße mir auf meine Wange. »Keine Sorge. Dieses Mal organisiere ja ich und ich habe alles unter Kontrolle.« Außer mein verräterisches Herz.

Steves Blick schweift wieder zu der Zuckerstange und er streckt einen Zeigefinger danach aus. »Was ich die ganze Zeit schon fragen wollte: Ist das die von –«

»Da bist du, Steve. Ich habe dich überall gesucht.«

Steve und ich wirbeln gleichzeitig herum und er springt von mir zurück, als hätte uns jemand in einer kompromittierenden Position erwischt. Sofort vermisse ich seine Wärme und verachte mich selbst ein bisschen dafür.

Die Frau mit welligen, blonden Haaren klimpert mit den getuschten Wimpern.

Steve räuspert sich und rollt gespielt entspannt die Schultern nach hinten. »Holly, das ist Amy. Amy kommt aus der Zentrale und managt die –«

»Die Public Relations der New Falton Police, ich weiß.« Ich zwinge mich zu einem freundlichen Gesichtsausdruck und nicke.

Steve tritt von einem Fuß auf den anderen und reibt sich den Ellenbogen. »Ja … ähm. Amy, das ist –«

»Die berühmte Holly Wren.« Sie schenkt mir ein Lächeln so strahlend, dass man wahrscheinlich alle Lichterketten des Tannenbaums am Chesterfield Square damit beleuchten könnte. Mit zwei entschlossenen Schritt kommt sie auf mich zu und streckt mir die Hand entgegen. Mechanisch schüttle ich sie. Dabei ist sie gerade einen Kopf größer als ich, obwohl ich sitze. Steve hingegen reicht sie nur bis zur Brust.

»Steve und Gwen haben so viel erzählt. Ich habe fast das Gefühl, dich zu kennen.« Ohne, dass ich mich wehren kann, schlingt sie ihren Arm um meinen Hals und drückt meinen schmalen Körper gegen ihre Schulter. Dabei hüllt mich der Duft ihres Parfüms ein. Vanille und irgendein nachgemachter Blumenduft. Passionsblume? Auf jeden Fall zu intensiv für mich und die plötzliche Nähe mag ich auch nicht.

Endlich lässt sich mich los und ich muss angewidert aussehen, denn Holly reißt die Augen auf. »Ach, stimmt ja, du hast Autismus und ADHS, hat Steve gesagt. Da sind menschliche Berührungen nicht so dein Fall, oder? Irgendwas mit Überstimulation oder so?«

Ich werfe Steve einen fragenden Blick zu, der sich an Olivers Schreibtischkante gelehnt hat. Er sieht so aus, als würde er sich gerade lieber die Haut in Streifen abziehen, als ein Teil dieses Gesprächs zu sein. Da bist du nicht allein. Auf jeden Fall antworte ich nicht.

Amy räuspert sich. »Naja, auch egal.«

Eine Entschuldigung wäre vielleicht eher angebracht, aber hey, wer legt da schon wert drauf?

Amy sieht sich in meinem Büro um und strahlt sofort wieder. »Auf jeden Fall super interessant. Eine Elfe als Datenanalystin.«

Halbelfe, korrigiere ich mental.

»Der Bürgermeister hat gerade eine Initiative gestartet. Aus dem öffentlichen Dienst werden diverse Arbeitsfelder vorgestellt. ›Gesichter von New Falton‹ heißt die Reihe und erscheint in der New Falton Times. Vielleicht kann ich dich da unterbringen, wenn du Interesse hast?«

Ich wende mich leicht ab und ziehe meine Tastatur näher zu mir. »Ähm, nein, danke. Das ist nicht so mein Fall.«

»Wieso nicht? Du bist eine Elfe, die Hälfte von euch sind sowieso Models.«

Halbelfe. Für eine PR-Managerin vielleicht ein etwas zu rassistischer Kommentar, den ich ignoriere. Genau wie das Bedürfnis, sie auf meine zu spitze Nase und zu dünnen Lippen hinzuweisen. Stattdessen rutsche ich auf der Sitzfläche meines Schreibtischstuhls hin und her. In meinen Fingern juckt es und ich will lieber zu Rosa zurück, die sich gerade an einem merkwürdigen Datensatz aufgehängt hat. Mir fällt auf, das ich Amy noch nicht geantwortet habe, doch mittlerweile ist die Pause unangenehm lang.

Amy blinzelt mir erwartungsvoll entgegen und ich bete zu allen Naturgeistern, dass es ein spontanes Erdbeben gibt und das Gebäude evakuiert werden muss. Gibt es natürlich nicht.

Steve räuspert sich erneut und sofort wirbelt Amys Kopf zu ihm herum. Wie eine Kompassnadel in Richtung Norden. »Lass uns gehen, Ayms und unser kleines Seitenprojekt verfolgen.« Er zwinkert ihr zu und obwohl der Kommentar sticht, atme ich erleichtert auf und schenke ihm ein minimales Lächeln.

Das sieht Steve aber nicht mehr, da er sich schon wegdreht und Amy sich bei ihm unterhakt. »Liebend gern. Ich habe oben beim Commissioner meine Tasche und eventuell einer dieser Protein-Muffins dabei, die du so sehr liebst.« Amy zieht Steve aus der Tür hinaus und ich weiß nicht, ob ich froh oder enttäuscht bin. Im Rahmen hält sie allerdings inne, legt eine Hand auf die Glaswand und dreht sich zu mir um.

»Ach ja und Holly?«

Ich zwinge mich, ihr in die braunen Augen zu schauen. »Ja?«

»Mir ist zu Ohren gekommen, du organisierst die Weihnachtsfeier?«

Mein Blick springt zu der Liste mit den nicht zugeordneten Namen, auf der auch meiner und Stevens steht. »Ja, und?«

»Ich würde so gerne kommen! Ja, ja, ich weiß, wir haben im HQ eine eigene, aber irgendwie gehöre ich hier ja zum Team.« Sie schmachtet Steve mit ihrer leicht vorgeschobenen Unterlippe so an, dass die Reinigungskraft wahrscheinlich eine extra Schicht einlegen muss, um den ganzen Honig vom Boden zu entfernen, den sie ihm sicherlich gleich um den Mund schmiert.

Tief atme ich ein. »Ich sehe, was sich machen lässt.«

Amy hippelt auf ihren Zehenspitzen hoch und runter und zieht nun wirklich einen Schmollmund. »Bitte, Holly. Ich habe gehört, Prinz Matthew hat die Party gesponsert, da fällt doch eine Person mehr nicht ins Gewicht!«

Und würde ich seine königliche Majestät, König Andrew dem Fünften von Batthesay, nicht deswegen schon verfluchen, weil der nervige Partyprinz jetzt einer meiner besten Freunde auf die Nerven geht, dann dafür, dass seinetwegen Amy zur Weihnachtsfeier kommt. Denn hätte er nicht Prinz Matthew verdonnert, hier ein Praktikum zu machen, hätte der nicht die Kosten für die Feier übernommen und Amy wäre gar nicht auf diese Idee gekommen.

Ich lächle gezwungen, ziehe mein Notizbuch zu mir und schreibe ihren Namen unter die letzten unzugeordneten Personen.

Amy klatscht in die Hände. »Tausend Dank, Holly! Das ist fantastisch.«

»Gerne«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich sollte netter sein. Sie kann nichts dafür, was zwischen Steve und mir passiert ist. Tatsächlich hebe ich den Kopf und bringe ein ehrliches, freundliches Gesicht zustande. Für ungefähr zwei Sekunden. »Deine Sweatergröße?«

Zwischen Amys Brauen bildet sich eine Falte, die so süß ist, das Donald vom Empfang wahrscheinlich Diabetes kriegen würde. Je schneller ich es ihr erkläre, desto schneller verschwinden die beiden. Steve meidet meinen Blick. Würde ich auch, wenn meine Ex-Affäre auf meine neue treffen würde. Wobei Ex-Affäre übertrieben ist. Eher Ex-One-Night-Stand.

Ich schenke meine volle Aufmerksamkeit Amy. »Es wird wieder Pärchen geben, die an der Schnitzeljagd teilnehmen. Dieses Mal bekommen alle Weihnachtssweater auf den Schreibtisch gelegt. Die Personen mit dem passenden Pullover machen das dann zusammen.«

Amy klatscht so eifrig in die Hände, dass ich mit meinem Schreibtischstuhl erschrocken ein Stück zurückweiche. »Was für eine wundervolle Idee. Ich habe S. Und jetzt halten wir dich nicht weiter auf, oder, Steve?« Sie blinzelt in seine Richtung und zieht ihn näher an sich.

»Ja, lass uns besser gehen.« Steve sieht mich ein letztes Mal an und ich wünschte, ich könnte mein Leben um 365 Tage zurückspulen. Vor die Weihnachtsfeier letztes Jahr, als alles noch in Ordnung war.

 

 

Weihnachtsfeier vor einem Jahr

 

Commissioner MacLay räuspert sich und lässt seinen Blick über das versammelte Personal des 54. Reviers gleiten. Das Drogendezernat hat alle Tische zur Seite geräumt und lustige Girlanden in Rot, Weiß und Grün aufgehängt. Der Tannenbaum in der Ecke ist aus Plastik, aber immerhin besser, als einen abgeschlagenen hinzustellen.

»Liebe Mitarbeitende! Ein weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu. Ich bedanke mich für Ihre hervorragende Arbeit und möchte gar nicht mehr Ihrer wertvollen Zeit verschwenden. Die Feier hat die verehrte Romilda Copperbatch organisiert. Misses Copperbatch, Sie haben das Wort.«

Ich lehne mich an die Wand neben Gwen, die mir einen vielsagenden Blick zuwirft. Sie ist schon so lang im 54. Revier, dass sie wahrscheinlich als Inventar für die Weihnachtsfeier zählt - wenn sie auch lieber arbeiten würde, als hier zu sein.

»Das kann ja was werden«, murmelt sie.

Ich presse meine Lippen zusammen und sage nichts, denn ich weiß ganz genau, was das wird. Eventuell habe ich im Vorfeld Nachforschungen angestellt, als Romilda gerade Kaffee holen war.

Romilda rückt sich die falsche Perlenkette auf ihrem rosa Feinstrickpullover zurecht. Hinter ihr türmt sich das Büffet aus Zuckerstangen, Keksen, einem Topf mit Würstchen für Hot Dogs und so viel Alkohol auf, dass man damit wahrscheinlich eine Zeitungsfabrik abfackeln könnte.

Sie räuspert sich hinter vorgehaltener Faust. »Auch von mir schöne Weihnachten! Wie immer wird es eine Schnitzljagd geben.«

Ein Raunen geht durch die Menge. Letztes Jahr hat der Commissioner für das Gewinnerpärchen einen Urlaubstag extra spendiert.

»Ihr werdet in Zweierteams einem Raum im Revier zugeordnet werden und dort ein Puzzleteil finden.« Sie hebt ein Post-It-großes Pappstück nach oben. »Ab dem Moment, an dem ihr dieses an der Bar abgebt, könnt ihr euch bedienen. Jetzt dürft ihr die Briefkuverts mit euren Partnernamen öffnen und sie danach suchen. Viel Erfolg!«

Gwen verdreht die Augen und zieht ihren sauber zusammengefalteten Umschlag aus der hinteren Tasche ihrer Jeans. Ich halte meinen bereits in den Händen und fahre über das glatte Papier. Eigentlich weiß ich genau, welcher Name auf dem Zettel darin steht. Romildas »Zufallsalgorithmus« war erstaunlich leicht zu knacken, denn kein Algorithmus ist ganz zufällig. Das kann kein Computer. Und mit dem nötigen Wissen ist es einfach, ihn zu beeinflussen. Und dennoch … ich streiche mit dem Zeigefinger über die schwarze Kugelschreiberschrift mit meinem Namen. Holly Wren. Auch ich mache Fehler.

Neben mir stöhnt Gwen. »Ich habe Inspector Heatherington. Wen hast du?«

Noch immer starre ich auf den Umschlag. Vielleicht hätte ich Gwen von meinem Plan erzählen sollen. Allerdings wäre ich mir selbst ihr gegenüber albern vorgekommen.

Ich stelle mir vor, wie die Konversation gelaufen wäre. »Hey Gwen, erinnerst du dich an meinen Crush? Steve Galley, aus dem Drogendezernat? Ich habe mir vorgenommen, das zu beenden. Gefühle sind sowieso nur biochemische Reaktionen und halten mich auf. Mein Plan ist, Steve auf der Weihnachtsfeier kennenlernen, seinen Charakter absolut abstoßend zu finden und puff, die Verknalltheit ist Geschichte.«

Nein, definitiv kein akzeptables Gesprächsthema. Wobei das nach einer tiefgründigen Recherche meinerseits die beste Möglichkeit ist, um über einen Crush hinwegzukommen. Von einem Geständnis der Gefühle an die entsprechende Person abgesehen. Allerdings ist das keine Option.

»Erde an Holly, hast du heute Morgen zu tief in den Pflanzendünger geguckt?« Gwen wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht und reißt mich aus meinem Stupor.

Es ist nur ein Name. Falls es nicht klappt, ist das nicht schlimm. Ich werde das anders beenden. Meinen Zeigefinger schiebe ich in den schlampig zugeklebten Kuvert, während sich um uns herum bereits die ersten Paare finden. Trotzdem höre ich mit meinen Elfenohren das Ratschen des Papiers. Mit weichen Knien ziehe ich den Zettel heraus.

»Steve Galley. Asservatenkammer.«

Mich sollte es nicht überraschen. Wenn ich genug Daten als Grundlage habe, irre ich mich selten. Und genau das habe ich heute Abend vor. Ich werde ausreichend Daten sammeln und mein naives Herz davon überzeugen, dass Steve Galley kein geeigneter Partner wäre und meine Zeit nicht wert ist, mit –

»Holly, richtig?«

Die tiefe, melodische Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. Sie klingt so, dass sie sofort in einen Befehlston wechseln könnte oder jemanden umgarnen, seine letzte Topfpflanze aufzugeben. Und mit jemand meine ich mich.

Ich schlucke schnell und blicke auf.

Er ist genau so, wie ich ihn in Erinnerung habe. Haselnussbraunes Haar, das ihm leicht in die Stirn fällt, der raue Dreitagebart und das schiefe Grinsen mit Zähnen, die bestimmt täglich Zahnseide sehen. Mehrfach.

»Sieht so aus, als dürften wir die Asservatenkammer durchsuchen, nur um mit Keksen belohnt zu werden. Und das einen Tag vor Weihnachten.« Er verdreht die Augen und lächelt dabei so charmant, dass meine Knie mehr nachgeben.

Halt, so war das nicht gedacht. Ich wollte mich heute entlieben, nicht noch mehr in ihn verknallen. Eilig ziehe ich die Schultern zurück und hebe das Kinn. »Steve, nehme ich an?«

»Messerscharf geschlossen für eine Datenanalystin.« Er hebt amüsiert die Braue.

»Jeder gute Datenanalyst checkt die Fakten doppelt.«

»Soll ich dir meinen Ausweis zeigen?« Ein neckischer Ausdruck legt sich auf sein viel zu symmetrisches Gesicht.

Ich schüttle den Kopf und eine schneeweiße Strähne verheddert sich in einer Reißzwecke an der Pinnwand hinter mir. »Das wird nicht nötig sein. Lass uns lieber anfangen. Ich habe bei Gwen gesehen, dass sie mit Inspector Heatherington die Küche im zweiten Stock hat. Die werden in Nullkommanichts fertig sein.«

Um uns herum hat sich der Raum merklich geleert und aus dem aufgestellten CD-Player dringen scheppernde Weihnachtsklänge. Die anderen werden sicherlich bald zurück sein.

Steve macht eine einladende Bewegung zu den Aufzügen. »Nach dir.«

Mit immer noch weichen Knien schreite ich zum Aufzug und drücke den Knopf nach unten.

»Also Holly, wie kommt es dazu, dass eine Halbelfe Datenanalystin für die Polizei wird?«

Höchstwahrscheinlich liegt dahinter eine rassistische Vermutung. Elfen lieben nur Bäume und Pflanzen und Kunst. Sehr gut, einen Minuspunkt hat er. Ich verenge die Augen. »Was ist falsch daran, dass ich hier angestellt bin?«

Steve steckt seine Hände in die Hosentaschen seiner Jeans und sieht ganz unschuldig aus. »Nichts. Ich kann mir nur vorstellen, dass es nicht einfach war, das deiner Familie zu erklären. Die meisten Elfen und Halbelfen, die ich kenne, arbeiten in Bloomington, nicht Downtown.«

Oh. Das ist erstaunlich sensibel. Zum Glück muss ich die Frage nicht beantworten, denn es pingt und die Aufzugtür gleitet auf. Mit einem großen Schritt steige ich ein und drücke auf das erste Untergeschoss.

»Und du, Steve? Undercover für das Drogendezernat zu schuften, ist nicht gerade ein freizeitfreundlicher Job.«

Steve schlendert zu mir und wartet, bis die Türen sich schließen. »Mit meiner Familie habe ich es nicht so – ähnlich wie du, nehme ich an.«

Meine Ohrenspitzen glühen und ich antworte darauf nicht. Steve schaut mich aber auch nicht erwartungsvoll an.

»Außer mit meinem Opa hatte ich nicht viel mit ihnen zu tun. Freunde habe ich wenige und die, die ich habe, verstehen das.«

Ich weiche seinem Blick aus und starre auf die verkratzte Edelstahltür des Aufzugs. »Und deine Freundin?« Ich beiße mir sofort auf die Zunge. Großartig gemacht, Holly. Sag ihm doch gleich, dass du in ihn verknallt bist, weil du ihn drei Mal im Coffeeshop auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesehen hast.

Falls Steve davon irritiert ist, lässt er es sich nicht anmerken. Er fährt mit dem Daumennagel über einen Sticker, der am Geländer des Aufzugs angebracht ist. »Habe ich nicht. Bietet sich bei dem Job nicht an.«

»Oh.« Das klingt enttäuschter, als ich will.

»Bis jetzt habe ich auch noch niemand getroffen, mit dem es so gepasst hätte. Das ist schon in Ordnung, so wie es ist. Wenn es soweit ist, würde ich die Stelle wechseln. Augenblicklich.«

Bevor ich etwas Unüberlegtes sagen kann, öffnen sich die Aufzugtüren. Vor uns geht im Gang flackernd das Licht an. Wir schreiten an der Archivtür vorbei weiter über den graublauen Linoleumboden und ich drücke die Klinge der nicht verschlossenen Tür auf. Normalerweise braucht man eine Chipkarte, offensichtlich nicht heute.

Daneben betätige ich mit einem Klicken den Lichtschalter und die Neonröhren flackern auf. Ich stöhne. Unzählige Kisten. »Das wird ewig dauern.«

Steve neben mir grinst und zieht etwas aus dem Bund seiner Hose. »Deswegen habe ich vorgesorgt. Kekse?« Er reißt die Packung auf und hält sie mir hin.

Ich schüttle den Kopf und verenge die Augen. »Erstens darf man in der Asservatenkammer nichts keine Lebensmittel oder Getränke konsumieren. Und zweitens kann ich das wahrscheinlich sowieso nicht essen.«

Ich trete einen Schritt zu einem der Schwerlastregale und öffne wahllos eine Kartonbox, doch Steve bleibt auf meinen Fersen.

»Die wurden na’alyáth hergestellt. Ich habe extra nachgesehen, bevor ich sie vom Büffet geklaut habe.«

Mein Herz setzt aus. Er hat das elfische Wort für »harmonisch« falsch ausgesprochen. Dennoch kennt er es und weiß, dass wir nur solche Speisen zu uns nehmen, bei deren Zubereitung alle Teile des Lebensmittels verwendet werden.

Meine Fingernägel graben sich tief in den Karton der Box vor mir. »Woher weißt du das?« Meine Stimme überschlägt sich fast und ich spähe zur Seite, um ihn besser zu sehen.

Steve zuckt mit einer Schulter. »Ist keine große Sache. Als Undercovercops sollen wir interkulturelles Training absolvieren. Da gehören auch alle Bräuche dazu vom Werwolf über Goblins und Elfen. Mich hat es sowieso interessiert, da habe ich mich gemeldet.«

Minuspunkte sollte er sammeln, nicht Pluspunkte. Läuft ja hervorragend bis jetzt. Aber Steve – oh so sexy undercover Cop – Galley wird eine Schwachstelle haben. Ein Grund, nicht in ihn verliebt zu sein. Und ich werde ihn finden.

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