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Szene aus Caydens Sicht

Diese Szene spielt nach dem Besuch ins Waisenhaus. Ihr werdet sie bestimmt erkennen.

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Ich trommelte auf das schwarze Glattleder der Stuhllehnen, während Edlox über die Karte gebeugt Figuren hin und herschob, die gebräunten Finger zitterten fast. Seine hastigen Ausführungen zu Ausbesserung von Pflasterstraßen und Lagerräumen waren mittlerweile nur ein eintöniges Rauschen in meinen Ohren. Auf den Enden der Tischbeine, die wie Pfoten geformt waren, hat sie Staub gesammelt. Zu viel wurde hier vernachlässigt. Mein Blick fiel wieder auf die Karte. Es war keine Option, keinen Weg zu finden. Es musste gehen.

»Was meint Ihr, Eure Majestät?« Edlox Blick ruhte auf einige kleine Brücken aus Holz, die neben der Karte standen, sein Kopf in einer Demutsgeste schief gelegt.

Mit einer Handbewegung wischte ich die die Holzfiguren von der Karte von Darington. »Mir ist egal, wie viele Straßen dafür ausgebessert und Brücken neu gebaut werden müssen. Wir brauchen dieses Getreide.«

»Ein Winter wird hoffentlich noch ohne zu schaffen sein, Eure Majestät. Durch den Krieg sind die Staatskassen leer und –«

Ich schlug mit der Faust auf die Tischplatte, die vibrierte und einige der Brückenminiaturen fielen um. Eine purzelte hinunter und landete auf dem Steinboden. Ich zertrat sie mit meinem schwarzen Stiefel. »Was fehlt?«, knurrte ich.

»Hauptsächlich Steine, Eure Majestät.«

»Wir leben in einem Gebirge. Steine hat es hier genügend.«

»Das schon, aber –«

Noch bevor die Tür aufging, hörte ich ihre leichten Fußschritte im Gang. Etwas war nicht in Ordnung. Sie ging hastiger als sonst, das unregelmäßige Muster ihrer Schritte wirkte fast schon gestresst. Meine Ohren zuckten nervös und ich umklammerte die Armlehnen, bevor die Tür aufschwang.

Élèntine trat herein, den Türrahmen fest umklammert, als ob sie sich dagegen wehren wollte, dass ich sie wieder wegschickte. Langsam musterte ich sie. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und schaute fast schon entschuldigend. Aber sie war unverletzt.

»Verzeiht die Störung, aber ich brauche den König. Dringend.« Ihre Stimme zittert leicht und mein Herz schlug schneller. Edlox Ohren zuckten nervös, er hörte es.

Es hatte einen neuen Anschlag. Jemand hat sie bedroht. Sie war in Lebensgefahr. Wieso hat mir Wyler nichts gesagt? Oder Jarson … Wenn sie hier in den Mauern starb, dann war es das mit dem Frieden. Wer immer es war, ich würde ihn in Stücke reißen. Unter meinem Stiefel knirschten die Holzteile der zerbrochenen Brückenminiatur, weil ich meinen Fuß fest gegen den Boden stemmte. Wieso blieb sie so ruhig? Ich spürte Edlox und Gaylins Blicke auf mir ruhen, die Augenbrauen in einer stummen Frage nach oben gezogen. Mit einem Nicken meines Kopfs verschwanden sie. Jede Faser meines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Ich stand auf, die Hände tief in die Taschen vergraben, damit sie meine geballten Fäuste nicht sieht. Kurz vor ihr streckte ich die Hand nach ihr aus. Aber sie würde nicht wollen, dass ich sie berühre. Ich ließ sie wieder fallen. »Ist etwas passiert?« Meine Stimme klang zu ruhig. Sie sollte keine Angst haben.

»Vorgestern habt Ihr mich entführt. Heute entführe ich Euch.« Ihre kühlen Finger streiften meine Hand und im Nacken löst sich eine Spannung, die ich erst jetzt bemerkte. Ich atmete lange aus, doch sie bemerkte es nicht. Es war alles in Ordnung. Aber sie war nervös. Wegen mir. Der Gedanke brachte mich fast zum Schmunzeln. Das trotzige Mädchen aus Laysolleiée hatte Sorge vor Zurückweisung. Mein Blick fiel auf die Karte und die zu bearbeiteten Briefe, das Siegelwachs lag noch daneben.

Ich sollte nicht gehen. Es gab wichtigere Dinge als sie glücklich zu machen. »Das kann nicht warten? Ich war in einer wichtigen Besprechung.«

»Nein, das kann es nicht. Nur heute ist das richtige Wetter dafür. Wer weiß, wann es wiederkommt." Ihre Finger umschlossen meine Hand entschlossen und zogen mich weiter. Ich hätte mich dagegen stellen können, mich wehren. Sie war so klein, so schwach, so zerbrechlich. Aber ich ließ sie, auch wenn es eine dumme Idee war. Der Botschafter kam bald und bis dahin musste ich die Versorgungsrouten kennen. Vielleicht schon ein paar Brücken repariert haben. Aber mit ihrer fast kindlichen Freude neben mir fiel es mir schwer, mich auf Steinmetze und Finanzen Gedanken zu machen. Oder mich gegen ihren Enthusiasmus zu wehren. Sie zog mich weiter durch die dunklen Gänge in Richtung Tor, der feuchte Geruch der Steine in der Luft. Immer weiter und weiter gingen wir, ihre Schritte viel leichter und beschwingter als noch gerade.

Die Sonnenstrahlen blendeten mich, als wir nach draußen in die Frühlingsluft traten, und ich kniff die Augen zusammen. Élèntine ließ meine Hand los und ich vermisste sofort den Kontakt. Reiß dich zusammen, an so was denkt sie noch gar nicht. Mit einem Lächeln, das ihr ganzes Gesicht erhellt, streckte sie mir einen Drachen entgegen. Der leichte Stoff roch leicht nach Schweiß und diesem fürchterlichen Parfüm, das sie am Anfang getragen hatte.

»Was ist das?« Ich verschränkte die Arme. Noch war es nicht zu spät, wieder zu gehen. Ich sollte die Zeit besser nutzen.

»Was das ist? Das seht Ihr doch! Wir lassen heute einen Drachen steigen«, sagte sie und wippte auf ihren Zehenspitzen auf und ab, das Lächeln wandelte sich zu einem breiten Grinsen. Trotz des scheußlichen Huts konnte ich nicht anders, als mich einen Moment ganz von dem Funkeln ihrer Augen einnehmen zu lassen. Nicht, dass ihr mir etwas anmerken lassen würde. Ich nahm ihr das Holzgestell aus der Hand und drehte den roten Drachen. »Ist das etwa Seide?« Ich verkniff mir ein bissiges »wie der hässliche Hut«.

»Natürlich, anderer Stoff wäre zu schwer.«

»Wo habt Ihr Seide gefunden?«

Sie biss sich auf die Unterlippe und zuckte mit den Schultern. »Ich habe eine Bluse zerschnitten, die ich aus Ferlacroix mitgebracht hatte.«

Mit einem Interesse, das er nicht verdiente, musterte ich den Drachen, um sie nicht ansehen zu müssen. An der einen Ecke ist der Stoff erkannte ich den Ansatz eines Knopflochs. Die Nägel waren zum Teil schräg eingeschlagen und hatten kleine Risse in der Seider hinterlassen. Trotzdem muss ich grinsen. So etwas brachte nur Élèntine fertig. »Und dann habt Ihr einfach einen Drachen gebaut?«

»Feanne hat mir die Flussschachtelhalme gebracht und ich habe damit gestern den Drachen gebastelt. Arnoît hat es mir gezeigt, als ich noch klein war. Eigentlich nimmt man besser Papier zum Bespannen, aber das hatte ich nicht da. So schwer ist das nicht.«

»Ihr seid wahrscheinlich die verrückteste Königin, die ich kenne.« Ich schmunzelte und gab ihr den Drachen zurück.

»Wie viele kennt Ihr denn?« Sie legte den Kopf schief und eine Welle ihres Dufts überrollte mich, als ihre Locken in der Brise wehen. Eine Bergwiese im Sommer. Blumig, aber frisch. Kurz wurde mir schwindelig. Aber nur von ihrem Geruch würde ich mich nicht einschüchtern lassen.

»Valider Punkt«. Ich richtete mich gerader auf und räusperte mich. »Das solltet Ihr übrigens lassen.«

»Was?« Zu allem Überfluss legte sie ihren Kopf noch schiefer und in mir regte sich der animalische Drang, sie über meine Schulter zu werfen und mit ihr in meine Gemächer zu verschwinden. Aber ich war besser als das. Besser, als meine Gelüste nicht kontrollieren zu können. Sie war nur eine Frau. Wie jede andere auch. Ganz egal, dass die Sonnenstrahlen ihre braunen Locken unter dem Hut in den Farben der Erde, der Rinde der Bäume und der glänzenden Nüsse erstrahlen ließen.

Ich rollte mit den Schultern nach hinten. »Den Kopf schief zu halten. Es ist eine Geste der Unterordnung.«

»Wäre das denn schlimm?«

»Andere Leute könnten auf die Idee kommen, Ihr würdet mit mir flirten.« Ich ging mit dem Drachen in der Hand los, damit sie mein Grinsen nicht sah. Von hinten drang ihre erhöhte Atemfrequenz nach Luft, ihr schnell schlagendes Herz. Und mit dem Geruch von warmen Blättern, feuchter Erde und Tannennadeln in der Nase wagte ich zu denken, dass es vielleicht doch die richtige Entscheidung war, sie hierherzubringen.

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